“Zwischen wollen und sein” – Aus dem Tagebuch einer pflegenden Angehörigen

Fotolia_47287990_XSEin arbeitsintensiver und langer Sommer verstärkte den Wunsch, mal auszuspannen und einmal etwas ganz anderes zu tun. Mutter ging es relativ gut, so gingen wir daran, die Urlaubspläne für den Herbst zu konkretisieren.

Israel hatten wir uns schon lange gewünscht. Vorfreude kam auf. Doch dann – aus heiterem Himmel – wollte mein Mann nicht mit. Bei so vielen Leuten kriege er Platzangst, ich solle doch alleine fahren. Es half alles nichts, er blieb dabei. Was in mir da vorging, kann sich keiner vorstellen. Jedenfalls versuchte ich sachlich ranzugehen und buchte trotzdem vorsorglich ein Doppelzimmer, mit der Option auf Abgabe einer Hälfte an eine andere Mitreisende, falls nötig. Kurz darauf bekam ich sogar Kontakt mit einer netten Dame in einer ähnlichen Situation.

Doch dann wurde es erst richtig interessant…

Eines Samstags früh wie so oft brachte ich Mutter die frischen Semmeln vom Bäcker. Wie immer hatte sie schon die Haustüre aufgesperrt. Die Betreuerin hatte bereits nach dem Rechten gesehen, eingeheizt und sich dann kurz ins Badezimmer für die Erledigung der eigenen Toilette zurückgezogen. Als ich Mutter nicht in der Küche antraf, schaute ich kurz rüber ins offen stehende Schlafzimmer. Sie dürfte es gerade noch ins Bett geschafft haben, ihr Zustand verschlechterte sich rapide. Sie konnte kaum mehr sprechen und kriegte kaum Luft, der Blutdruck hatte wahre Höhen erreicht und sie wurde von der Stirn abwärts über die Nase immer blasser. Wie ferngesteuert wurde der Notarzt gerufen. Erster Gedanke – Schlaganfall? Sie konnte auch nicht mehr auf die Beine. Die Untersuchungen im Krankenhaus ergaben, dass es zum Glück kein Schlaganfall war, sich aber ihre Leukozyten dramatisch erhöht hatten. Die Ärzte rieten umgehend zu einer Chemo. Mutter weinte nur mehr, sie hatte Angst, Angst nicht mehr nach Hause zu kommen und im Krankenhaus sterben zu müssen.

Meine Urlaubspläne hatte ich schon ad acta gelegt. Es gab keinerlei Anhaltspunkt, wie diese Sache ausgehen würde, wie lange Mutter wirklich im Krankenhaus bleiben müsse. Wir beschlossen jedenfalls, sozusagen als Weihnachtsgeschenk für Mutter, die Betreuerin in dieser Phase auf jeden Fall da zu behalten. Also brachte ich morgens die Betreuerin ins Krankenhaus zu Mutter, ging selbst zur Arbeit, mittags ins Krankenhaus, nach der Arbeit holte ich unsere Betreuerin wieder ab, um am nächsten Tag wieder von vorne zu beginnen, fast 2 Wochen lang. Mutters Standfestigkeit ließ zu wünschen übrig, an ein Aufstehen ohne Hilfe war nicht zu denken. So nahm die Idee mit einem elektrischen Krankenbett für zu Hause, das vom Krankenhaus aus verschrieben wurde, Gestalt an.

Es grenzte fast an ein Wunder, dass sie 2 Tage vor meinem geplanten Urlaubsantritt nach Hause durfte, und sie hatte sich überdies erstaunlich gut aufgerappelt und bestand darauf, dass ich die Reise antreten soll. Da war ich zum ersten Mal froh, dass mein Mann in dieser Phase zu Hause war und ich auch vergessen hatte, die Reise zu stornieren.

All die während der Reise besuchen Stätten, von Jerusalem, Bethlehem, Nazareth, Jericho, See Genezareth bis zum Toten Meer kann ich kaum im Detail beschreiben, das muss man sehen und erleben. Man ist getragen von vielen neuen Eindrücken, hat täglich etwas zum Staunen in diesem landschaftlich, klimatisch, kulturell und von den Bewohnern her so abwechslungsreichen und interessanten Land. Und dann haben wir mit Mutter, die bereits den 2. Teil der Chemo gut hinter sich gebracht hat, in geselliger Familienrunde, wie gewohnt, Heilig Abend gefeiert. In der Christmette jedoch war ich wieder „auf Reisen“, verlegte in Gedanken das von der Jungschar dargebotene Hirtenspiel an den Originalschauplatz – die Hirtenfelder – und ließ die Ereignisse der letzten Wochen nochmals staunend Revue passieren. Weihnachten war heuer anders, ja sogar viel anders und früher als sonst.

Romana, Tagebuchschreiberin und pflegende Angehörige

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